Dienstag, 30. März 2010

Slasher Maggie

Slasher Maggie

Ein Einpersonenstück in 4 Szenen

zu Margarete Steffin und ihrem Text "Ich bin ein Dreck"

von

Klaus Peter Buchheit

(für Kerstin Becke)


Personen: Slasher Maggie (SM)

SM trägt ein weißes Nachthemd. Sie ist barfuss.

Die Bühne ist schwarz. Aus den Wänden stehen Messerklingen hervor. Aus dem Boden Nägel. In der Mitte der Bühne steht eine Lazarettpritsche. Um die Pritsche, zur Pritsche u. zum Bühnenrand schlängelt sich ein nagelfreier Weg. An der linken Wand liegen drei weiße Styroporpuppen. An der rechten Wand steht ein Rosenstrauch voller weißer Blüten.


Slasher Maggie © 2010 Klaus Peter Buchheit ( E-Mail )


Slasher Maggie - 1. Szene

1. Szene

SM sitzt auf der Pritsche. Neben sich eine Schüssel voller weißer Tassen u. eine Glasschüssel mit Brechbohnen.

Mutter, hast gesagt

ich solle nicht auf jeder Hochzeit tanzen.

Was weißt du, Mutter?

Was weißt du schon von mir, Mutter?

Hochzeiten?

Ja, ich war auf Hochzeiten

auf so vielen Hochzeiten

auf jedem verdammten Fest

u. habe mir sentimentale Reden angehört

das war keine Sprache

das war kein Weinen

das war Verlogenheit.

Ich habe nicht gelogen.

Ich habe nie gelogen.

Zumindest nicht in den Nächten, Mutter

in denen ich nicht auf den Hochzeiten tanzte

wie du meintest

in denen ich nach dir schrie

mir die Seele aus dem Leib schrie

u. du nicht antwortetest.

Hat trotzdem geholfen,

irgendwie.

Sie wollten mich wegen dieses Schreiens auf keiner Hochzeit mehr haben.

Weil ich auf dem Boden lag.

Weil kein Alkohol u. keine Tablette zu stark war, ihre Verlogenheit zu ertragen.

Sie schämten sich für mich.

Für mich.

Als ob ich das nicht alleine könnte.

SM schmeißt 3 Tassen auf den Boden

Du antwortetest nicht, Mutter.

Du saßest an deinem Tisch,

in dich verbohrt.

Stumm.

Aufstöhnend.

Dann sagtest du,

ich solle nicht auf jeder Hochzeit tanzen.

Fragtest,

brauchst du Geld.

Geld hast du mir gegeben.

Ich konnte deiner Meinung nach ja nicht mit Geld umgehen.

Mit nichts umgehen.

Mit meinem Leben nicht umgehen.

Mutter,

du zähltest mir die Scheine vor.

Da nimm, Kind.

Betetest mir deine Maxime vor.

Dann u. wann eine Anekdote.

Von früher.

Was für ein früher?

Was für ein Jetzt?

Von dem sprachst du nie.

Ich war das Jetzt.

Ich bin das Jetzt.

U. du warst nicht das Früher, von dem du erzähltest.

Ich erkannte dich darin nicht wieder.

Ich konnte dich nicht sehen.

Ich sah nur,

du tunktest Brot in Hühnchenfett.

Und schwiegst. Und schautest deinen Mann nicht an.

SM wirft eine Handvoll Bohnen auf den Boden.

Vater.

Vater, du saßest im Keller u. rauchtest.

Hast Ringe in die Luft geblasen.

Wenn du die Worte sprachst,

du seiest ein Dreck.

Vater.

Niemand habe dich gemocht.

Niemals habest du gelebt.

Man habe dir das Leben gestohlen.

Das Leben verwehrt.

Ich habe dich gemocht, Vater.

Hätte ich denn nicht dein Leben sein können?

War ich nicht dein Leben?

Hatte ich denn kein Leben?

Ich habe nicht auf Hochzeiten getanzt.

Ich lag unter der Decke

u. war so unendlich lebendig

habe mein Bein gespürt

u. noch den kleinsten Zeh

u. den linken Arm

u. noch die kleinsten Knöchel im Handgelenk

u. hatte diese Hitze zwischen den Beinen

u. diesen angenehmen Schmerz in den Handgelenken

von endlosen Nächten

ohne Schlaf u. voller Verbotenheit.

U. ich habe die Worte gelesen,

die ich hätte von dir hören wollen.

Die du nie sagtest.

Die ich immerzu las.

Du sagtest nur, du seiest ein Dreck.

SM nimmt ein Handvoll Bohnen, wischt sich damit durchs Gesicht u. lässt sie dann fallen.

Hast du mich nicht murmeln hören?

Vater.

Wie hättest du mich hören sollen?

Mutter schrie.

Ich solle den Arzt rufen,

du seiest wahnsinnig geworden.

Du hattest ihr das Geschirr vor dir Füße geworfen

u. dabei gegrunzt wie ein Schwein.

Vater.

Hättest du dich doch gesuhlt in dem Dreck,

von dem du sagtest,

das seiest du.

SM wirft 3 Tassen an die Wand.

Hast du mich nicht rufen hören?

Ich rief von unter der Decke.

Flüsterte in den Boden,

dass es der Stein in den Keller übertrage.

Kassiber einer Gefangenen.

Vater.

Du hättest die Gefängnistür aufsperren können.

Wärest du doch gekommen.

Aber du saßest in deinem Keller u. rauchtest

u. sagtest immerzu

du seiest ein Dreck.

Hat es denn wenigstens geholfen?

Mir hat es geholfen,

irgendwie.

Aber dir?

Du grubst dich immer tiefer in den Keller

u. starrtest in die Kohleglut.

U. einmal fasstest du in den Kohleberg,

u. wischtest dir den Kohlenstaub durchs Gesicht.

Und Mutter schrie,

sie hatte dich gesucht,

wie so oft,

du seiest ein Schwein. Ein ekelhaftes Schwein.

Vater, hast du mich denn nicht gehört,

ich löste mich von dem Buch,

u. mir wurde ganz warm unter meiner Decke,

u. ich legte die Hand nicht in die Wärme

ich strich mit meiner Hand über den kalten Boden neben dem Bett

u. beugte mich herunter

u. flüsterte dem Boden zu

SM kniet neben der Pritsche u. streicht mit der Hand über den Boden. Beugt sich vor, als wolle sie den Boden küssen u. haucht kindlich

Vater, hörst du mich

ich bin deine Tochter

ich bin der Dreck

ich bin ein Dreck

hörst du mich in deinem Keller?

Hörst du meine Stimme,

wie sie sich aus dem Boden hoch flüstert

in deine Ringe hinein

Vater

ich bin dein Dreck

Vater

ich bin der Dreck

ich bin ein Dreck

streiche mit deiner Kohlenstaubhand durch mein blondes Haar

es soll schwarz sein wie dein Mund

dein rußiger Mund

der nie mich küsste

selbst dann nicht, als Mutter mich geschlagen hatte

wegen einer Nichtigkeit

ich hatte Suppe verschüttet.

Ein paar Tropfen.

Du hattest gesagt, ich solle aufpassen.

Darüber erschrak ich mich.

U. verschüttete diese verdammte Suppe.

Mutter sagte, aus mir würde nie etwas werden.

Mutter sagte, kannst du nicht auf deinen Vater hören

u. schlug mir ins Gesicht.

Du sagtest nichts.

Schautest nur

u. gingst dann in den Keller.

Vater

u. schmiertest dir Asche ins Gesicht

u. schwiegst

Vater

ich höre dich nicht

ich höre nichts mehr

SM erhebt sich u. schüttet die restlichen Tassen auf den Boden. Nimmt die Schüssel mit den Bohnen u. kippt sie sich über den Kopf.

Mutter, warum sagst du mir nicht mehr,

was ich tun soll?

Warum schreist du nicht mehr,

dass ich dich wenigsten hören könnte,

damit ich wenigstens etwas vernähme,

damit ich mir einbilden könnte,

da sei eine Antwort,

wenn ich murmele,

ich bin ein Dreck

Licht aus.


Slasher Maggie - 1. Szene © 2010 Klaus Peter Buchheit ( E-Mail )

Slasher Maggie - 2. Szene

2. Szene

SM läuft umher. Immer dieselben Wege rund um die Pritsche. Einmal im Uhrzeigersinn, dann entgegen des Uhrzeigersinns. Manchmal hektisch u. abgehetzt, manchmal gemächlich schlendernd. Dabei kickt sie nach u. nach die Scherben u. die Bohnen von der Bühne.

Ja,

ich ging aus.

Jede Nacht.

In jede Spelunke der Stadt.

Sie konnte mir nicht dunkel genug sein.

Die Kerle nicht finster genug.

Nur reden mussten sie.

Von einem anderen Leben.

U. mit der Hand auf den Tisch hauen.

Alles müsse sich ändern.

Da hatte ich keine Angst.

Dass sie mir etwas antäten.

Hätten sie es nur getan.

Hätten sie mich nur angefasst.

Sie schlugen mit der Hand auf den Tisch.

Ich zuckte nicht zusammen,

wenn einer plötzlich schrie,

dass das alles anders werden müsse,

wenn alle plötzlich sangen,

es werde eine neue Welt werden.

Wieso sollte ich Angst haben?

Die Angst war in mir.

Die Angst war meine beste Freundin.

Stets war sie bei mir.

Ich brauchte sie nicht zu haben,

wie man ein Ding hat,

oder einen Ehemann.

Allein in meinem Zimmer, nachts,

wenn der Schlaf nicht bei mir war,

da war die Angst in mir

u. wurde zu meiner Freundin.

Sie hieß mich die Türen verriegeln.

Sie zwang mich,

in das Schwarz des Himmels zu starren.

Nur nicht die Fenster sehen,

in denen das Licht brannte u. Menschen umherliefen.

Männer u. Frauen u. Kinder.

Oder um den Tisch saßen.

Ich wusste nicht, dass sie verlogene Gebete sprachen,

dass sie sich unaufhörlich belogen.

Woher hätte ich das wissen können?

He?

Mich hieß die Angst mich auf den Boden legen.

Auf den kalten Steinboden.

Damals holte ich mir die Krankheit.

Das Atmen fiel mir zunehmend schwerer.

Ich verschwieg es.

Es durfte kein Makel an mir sein.

Sagte die Angst.

Wenn du makellos u. nackt da liegst,

flüsterte sie,

dann sehen sie dich nicht,

die da in deinem Zimmer umhergehen,

wenn du einschläfst.

Schlafe nicht,

sagte die Angst.

Liege da u. starre in den Himmel.

Schaue nicht nach links.

Nicht nach rechts.

U. halte die Luft an.

Dein Atmen lärmt zu sehr.

Sie können dich hören.

U. dann sehen sie,

du bist nicht makellos.

SM schweigt u. läuft weiter.

Tagsüber

mit schweren Augen

lief ich aus der Stadt hinaus.

Durch die Felder.
Über die Wiesen.

Ich sah sie nicht.

Ich lief nur.

Immer weiter.

Immerzu.

Ohne Rast.

Keine Pause.

Kein Innehalten, wenn ein Vogel schrie.

Kein Anhalten, wenn ein Schwan im See seinen Hals reckte.

Wäre ich stehen geblieben,

wäre ich bestimmt umgefallen.

Wäre liegen geblieben.

Nie mehr aufgestanden.

Also lief ich weiter.

Vorbei an Höfen.

Vorbei an Zäunen.

Abhänge hinab.

Durch Schluchten u. unter Brücken hindurch.

Manchmal winkte ein Bauer.

Ich winkte nicht zurück.

Sie riefen hee blondes Kind.

Später schnitt ich mir die Haare kurz.

Sie riefen hee schönes Mädchen.

Seh ich heute in einen Spiegel, weiß ich,

sie logen.

Ich lief weiter.

Bis es Zeit war umzukehren.

Bis es Zeit war, sich an den Tisch zu setzen u. Suppe zu essen.

Bis es Zeit war, aufs Zimmer zu gehen.

Bis es Zeit war, die Kleider auszuziehen.

Alle.

U. mich auf den Steinboden zu legen.

Mein kühler Boden.

Er vertrieb mir die Röte aus dem Gesicht.

Blass wollte ich sein wie der Mond am schwarzen Himmel.

SM schweigt u. läuft.

Später dann.

Es gab keine Suppe mehr.

Grüne Suppe.

Ich erbrach sie ins Klo.

Ich blieb nicht mehr auf meinem Zimmer.

Ich ging in die Nacht.

In der Hoffnung, es fasse mich einer an.

In der Hoffnung, einer mache endlich, was er sagte.

In der Hoffnung, alles könne anders werden.

Alles werde anders werden.

Wenn sie mit der Faust auf den Tisch schlugen,

in etwa so

SM schlägt mit der Faust auf die Pritsche

glaubte ich

es sei das das Startzeichen,

der Startschuss,

für das Rennen

das Losrennen

in eine andere Welt.

Ich glaubte, da sei eine Wut, wenn sie auf den Tisch schlugen.

Ich hatte plötzlich eine Wut in mir,

wie andere eine Jugendliebe haben.

So eine Wut hatte ich in mir.

Alle Schläge auf den Tisch waren winzig u. schwach

im Vergleich zu meiner Wut

ich konnte nicht auf den Tisch hauen.

Nein.

Ich hätte den Tisch entzwei geschlagen.

Ich hätte die Tischbeine durch den Boden geschlagen.

Ich hätte die ganze verdammte Spelunke in die Erdmitte hinein geschlagen.

Ich hätte die ganze verdammte Stadt durch den Erdkern hindurch geschlagen,

Ich hätte die ganze verdammte Bevölkerung durch die Erde hindurch geschlagen,

dass sie hätten den Australiern Guten Tag sagen können.

SM schlägt unterm Laufen kraftlos auf die Pritsche.

Damals hatte ich diese Wut

u. musste an mir halten,

saß nur da

u. hörte den Reden zu

den Kerlen zu

schwieg

u. rauchte

u. ging mit, wenn einer sagte, geh mit

SM schweigt

Ich ging mit.

U. hätte bei dem bleiben wollen, der sagte,

geh mit.

Er hatte mit mir gehen wollen.

Ich hatte mit ihm gehen sollen.

Wie hätte ich da nein sagen können?

Wenn er doch mich wollte.

Wenn ich es doch war, die er wollte.

Ich hätte so gern bei dem bleiben wollen, der da gesagt hatte,

geh mit.

Ich hatte es für Liebe gehalten.

Was wusste ich von Liebe?

Wie hatte ich etwas von Liebe wissen können,

wenn ich nur den Schmerz spürte,

wenn er am Morgen sagte

geh.

Wenn vom mit keine Spur mehr war.

Ich kein mit mehr hörte.

Er mir nur die Tür wies

u. lachte

u. sagte,

du musst noch viel lernen.

Den Schmerz hielt ich für Liebe.

U. aus Liebe tut man viel.

Nicht wahr.

Also lernte ich.

Also ging ich in die Bibliothek

u. las alle Bücher, die da standen.

Also ging ich in die Abendkurse,

u. lernte alle Sprachen, von denen ich gehört hatte.

Er sollte zufrieden sein u. endlich wieder sagen

geh mit.

Ich verbot mir zu denken, er könne sagen: bleib.

Geh mit hätte mir schon den Schmerz genommen.

Jede Nacht saß ich am Tisch u. hörte zu,

u. erkannte hier u. da ein Wort wieder, das ich gelesen hatte.

Also sprachen sie Recht.

Also war es wahr, was sie sagten.

Also wird sich die Welt ändern

so ändern

wie sie sagten

forderten

schrieen

u. ich ging mit.

Wenn einer sagte, geh mit.

U. ich ging

wenn er am Morgen sagte

geh

u. ich setzte mich in die Bibliothek

weil sie sagten

du musst noch viel lernen

u. ich setzte mich in die Abendkurse

weil sie sagten

lerne sprechen

weil sie sagten

man habe mir wohl die Sprache gestohlen

u. ich wusch mich viele Male am Tag

weil sie sagten

ich sei schmutzig

ich wollte kein Dreck sein

aber insgeheim wusste ich

ich war ein Dreck

sie sagten ja

geh

u. sie sagten zwar

die Welt werde sich ändern,

aber sie taten nichts,

weil sie sich wohl schämten mit mir,

weil ich so schmutzig war,

weil ich wohl doch ein Dreck bin

ohne Sprache

ohne viel gelernt zu haben.

Darüber habe ich die Nacht aus den Augen verloren.

U. den Mond.

U. meinen kalten Boden.

Nur die Krankheit blieb.

Und die Angst.

U. der Dreck.

Ich hatte den Dreck in der Lunge.

Zum Glück hatte ich den Dreck nun in der Lunge.

Jetzt sah ihn keiner mehr.

Ich kann nicht mehr.

SM bleibt stehen.

Licht aus.


Slasher Maggie - 2. Szene © 2010 Klaus Peter Buchheit ( E-Mail )

Slasher Maggie - 3. Szene

3. Szene

SM steht am Bühnenrand. Neben ihr ein Eimer mit Pinsel und Farbe. Daneben ein Messer. Immer wieder geht sie zu den Styroporpuppen, nimmt eine, bemalt sie unterm Sprechen. Sticht mit dem Messer auf sie ein u. steckt sie dann auf die Klingen an der Wand.

Später dann.

Ich war immer noch jung.

U. doch schon so alt.

Wie lange ist es her?

8 Jahre?

Oder 9?

Dann bin ich heute ja schon … Meine Güte.

Es sei kein Alter, heißt es.

Für mich schon.

Ich habe nicht so viel Zeit.

Ich muss mich beeilen.

Musste mich immer beeilen.

Wie hätte ich es sonst schaffen sollen?

Also, es ist, glaub ich, 9 Jahre her.

Meine Güte.

Er hieß Karl.

Oder Egon.

Wer will das wissen?

Wer will denn das so genau wissen?

Wie soll ich denn das wissen?

Karl oder Egon, egal.

Er war jedenfalls da.

SM nimmt eine Puppe. Hält sie sich mit ausgestreckten Armen vor die Brust.

Egon. Bist du das?

Hast du Egon geheißen?

Ich heiße dich jetzt Egon.

Du bist mein Egon.

Nicht wahr.

Egon.

SM bemalt die Puppe.

Weißt du noch?

Weißt du noch, dass du mir nicht mal den Rock auszogst?

Egon.

Du erzähltest mir von deinen Plänen u. Theorien

u. stecktest mir dabei deinen Schwanz ins Loch.

Ich wollte dir zuhören.

Ich habe dir wirklich zuhören wollen.

Aber es fühlte sich da unten trotz allem gut an.

Du sagtest, hör zu.

Du schriest, hör zu.

Du brülltest, hör zu.

Dann warst du fertig da unten u. redetest einfach weiter.

Von deinen Plänen

ließest dabei meinen Rock fallen

von deinen Theorien

machtest dabei deine Hose zu

ich hatte dir zuhören wollen

aber dein Brüllen hatte mich taub gemacht

ich hatte dich fühlen wollen

SM sticht ein Messer in die Puppe

aber dein Stoßen hat mich gefühllos gemacht

da unten

für Wochen

hat es mich gefühllos gemacht

aber

das muss ich sagen

jetzt hatte ich wenigstens gewusst

dass man da was fühlen kann.

Siehst du, Karl

oder Egon

ist mir doch scheißegal

ich habe was gelernt

ich habe tatsächlich was von dir gelernt

nimm das zum Dank

SM steckt die Puppe an die Wand

SM nimmt eine neue Puppe u. geht wieder zum Bühnenrand

Und dann war da Fritz.

Der hatte einen Bauch.

Einen gewaltigen Bauch.

U. ein rotes Gesicht.

U., um ehrlich zu sein,

er roch ein bisschen.

Um wirklich ehrlich zu sein,

er stank.

Ach, der Fritz. Diesen Bauch konnte kein Wind umblasen.

Diesen Bauch konnte kein Mensch aus dem Weg räumen.

Fritz war da

u. ich legte meinen Kopf auf diesen Bauch

u. er legte seine fette Hand auf meinen Kopf

u. dann wurde es ganz ruhig in diesem Kopf

u. ich hörte die Geräusche in seinem Bauch

hörte

wie das Fleisch u. die Pasteten u. die Schokolade u. das Fett u. die Fische u. die Saucen u. Hühnchenschlegel u. die Schweinsbraten u. die Kohlsuppe u. die Mehlspeisen

SM gerät außer Atem. Sie drückt den Bauch der Puppe gegen ihr Gesicht

ach, die Mehlspeisen u. der Käse

u. u. u. u.

was weiß ich noch alles

durch den Magen rutschte

durch den Darm sich quetschte

u. am Morgen wird er wieder auf der Schüssel hocken

u. ich werde ihn furzen hören

u. gewaltig scheißen

u. wissen

er ist immer noch da.

Was für ein Glück.

SM malt Herzchen auf die Puppe.

Was für ein Glück.

War das die Liebe?

Fritz.

War das die Liebe?

Sag.

Haben wir uns geliebt?

Hast du mich geliebt, wie du dein Essen liebtest?

Hättest du mich nicht auch in diesen gewaltigen Bauch mit aufnehmen können?

War ich dir nicht fett genug?

Zu trocken?

Zu zäh?

Sag.

Hättest du mich nicht auch durch diesen Darm pressen können?

Mein ganzer Körper hätte dich gespürt?

Oder war ich dir zu dünn für deinen Darm?

Zu dünn für deinen Dünndarm.

SM lacht.

Hätte ich mich einfetten sollen?

Fritz.

In deinem Darm wäre ich aufgehoben gewesen.

Unter.

Wie man so sagt.

U. dann hättest du mich mit einem gewaltigen Donnerfurz

ausscheißen können.

Fritz.

Hättest du das nicht machen können?

SM sticht auf die Puppe ein.

Sag.

Hättest du das nicht machen können.

Dann hätte ich einen Grund gehabt.

Dann hätte ich endlich einen Grund gewusst,

warum ich auf der Welt bin.

Du hättest mich ja auf die Welt geschissen.

U. ich hätte diese ungeheure Wucht deines Bauches in mir getragen.

Ich wäre dagestanden wie dein unschlagbarer Bauch.

Niemand hätte mich mehr geschlagen.

Fritz.

Niemand hätte nicht mehr seinen Kopf in meinen Schoß legen mögen.

Keiner wäre mehr davon gerannt,

wenn ich versucht hätte, ihm zu sagen,

wer ich bin.

Dass ich ein Dreck bin.

Sie hätten dann ja wissen können,

sie ist in die Welt geschissen worden.

Sie hätten das dann wissen können.

Sie hätten wissen können, es muss so sein.

U. dann hätten sie es einfach akzeptiert.

Nicht wahr, Fritz?

Aber du hast es nicht getan.

Du verschissener, fetter Dreckskerl.

Du verfressene Sau.

Du sollst hängen wie die Ferkel am Spieß.

SM steckt ihn an die Wand.

SM holt eine neue Puppe.

Und dann war da der kleine Johnny.

Der hatte Sommersprossen.

U. jede Sommersprosse stand für eine kluge Idee.

Ich lag bei ihm.

Ich ordnete jeder Sommersprosse eine seiner Ideen zu.

So war sein kleines, hässliches Gesicht voller kluger Ideen.

U. ich konnte mich an dieser Klugheit nicht satt sehen,

wenn mein Kopf auf seiner Brust lag

u. ich ihm ins Gesicht starrte

u. nur mehr die klugen Ideen sah

über u. über übers Gesicht getupft

über die Nase

die Backen

die Stirn

das Kinn

selbst die Ohren

ja, selbst die Ohren

diese hässlichen kleinen Ohren

hingen voller kluger Ideen

vollgehängt in diesen klugen Nächten

wir lagen auf dem Sofa

er saß vielmehr

ich lag

u. starrte in dieses Gesicht

u. wie kleine Rubine kamen die Ideen aus seinem Mund

u. ich heftete sie an die Sommersprossen

u. an die Pickel

was hatte er für Pickel

da heftete ich die großen Ideen dran

SM tupft mit dem Pinsel auf der Puppe herum.

u. die ganz große Idee

seine Weltveränderungsidee

die steckte ich ihm an die Warze am Kinn

an diese fette Warze in diesem hässlichen kleinen Gesicht

diesem Johnnygesicht

über das ich so lachen konnte

wenn ich alle diese klugen Ideen leuchten sah

aus diesem hässlichen kleinen Gesicht feuerrot leuchten sah

diese kleinen intelligenten Rubine

aus reiner Intelligenz angeschossen

aus reiner Weltveränderungsintelligenz

aus wunderbarer Menschenveränderungsintelligenz

wie ich meinte

wenn mein Kopf auf seiner Hühnerbrust lag

u. es darin röchelte

weil die Lunge ganz löchrig war

zerfressen von dieser Intelligenz

dieser Neuewelterschaffungsintelligenz

dieser Liebeverneinungsintelligenz

weil die Liebe nicht wolle

dass sich etwas verändere

nicht wahr, Johnny

das hast du doch gesagt

die Liebe sei dumm

u. es sei dumm, sich anzufassen

diese Idee hing doch an dieser fetten Warze

u. dass Küsse dummes Zeug seien

diese Ideen hingen doch an deinen Sommersprossen

in diesem hässlichen kleinen Gesicht

nicht wahr Johnny

u. dass ich so schrecklich dumm sei

nicht wahr Johnny

diese Ideen hingen doch an deinen Pickeln

deinen Leuchtturmpickeln

voller eitriger Zukunftsfanalintelligenz

dass das jetzt keinen Sinn habe

dass wir uns nicht erinnern dürften

diese Vergessenszwangsintelligenz

nicht wahr Johnny

diese Ideen waren dir übers Gesicht geschrieben

so redetest du die ganze Nacht

wenn ich nicht schlafen konnte

u. du sagtest, ich müsse

schlafen

damit ich ausgeschlafen sei für die neue Welt

diese Worte kamen doch aus deinem hässlichen kleinen Mund

dass ich dir nicht immerzu ins Gesicht starren solle

dass ich meinen dummen blonden Kopf von deiner zerfressenen Brust nehmen solle

nicht wahr Johnny

du kleiner hässlicher ideenzerfressener Johnny

SM sticht mit dem Messer auf ihn ein

ich stecke dir noch mehr intelligente Ideen an

du kleiner hässlicher Ideensprudler voller Kosmoserschütterungsintelligenz

wie hast du mich erschüttert

nicht wahr Johnny

schau, wie erschüttert ich bin

ich bebe

von deiner Sonnenblendungsintelligenz

die dir aus dem Gesicht leuchtet

aber jetzt

aber jetzt

schau

wie sehr ich mich verändert habe

wie sehr ich deine Ideen erfülle

wie sehr ich dich, du pure Idee

an die Wand stecke

da nimm

Johnny

als ein Zeichen meiner Dankbarkeit

dass ich deine kostbare Intelligenz

genießen durfte

deine kostbare Zeit

wie du sagtest

weil es doch geraubte Zeit sei

in der man ja hätte die Welt verändern können

jetzt verändere ich die Welt

du hässlicher kleiner Zwerg

SM steckt ihn an die Wand

SM setzt sich an den Bühnenrand.

Puh

ich hab sie alle vertrieben.

Geblieben ist niemand.

Die Liebe nicht, die ein Schmerz war.

Die Wut, die ein Schweigen war.

Die Kindheit, die ein Dreck war.

Nur die Angst.

Die blieb.

Blieb in mir.

Alte Freundin.

Aber wie Recht hattest du, dass es das noch nicht gewesen sei.

Dass das nicht die Liebe u. die Wut, der Schmerz u. das Schweigen gewesen seien.

Du hattest es prophezeit.

Dass da noch etwas käme.

Dass da noch einer kommen sollte.

U. er kam.

Er kam einfach u. sagte:

sag ja.

Sagte nicht

wie Egon oder Karl oder wie der hieß

wie Fritz, die fette Sau

wie Johnny, diese hässliche Ratte

sagte nicht, sag nein

sagte

sag ja

u. ich sagte ja

wie ich noch nie ja gesagt hatte

sagte,

ja, ich bin ein Dreck

u. er sagte

dann lass uns dreckig sein

denn im Dreck entsteht das Leben

ich sagte ja,

er sagte

lass uns zusammen dreckig sein u. zusammen dreckige Dinge tun

ich sagte

ja

JA

Wie hätte ich wissen können, dass

er zu niemandem nein sagte

dass er zu keiner nein sagte

wie hätte ich das wissen können

dass ich nicht mehr werde aufhören können

ja zu sagen

ja zu ihm zu sagen

selbst dann

wenn er nicht da ist

u. er war dann selten da

immer seltener

ganz weg vom vielen sagen:

sag ja.

Ja Ja.

U. ich hab keine Puppe mehr.

Licht aus


Slasher Maggie - 3. Szene © 2010 Klaus Peter Buchheit ( E-Mail )