Dienstag, 30. März 2010

Slasher Maggie - 3. Szene

3. Szene

SM steht am Bühnenrand. Neben ihr ein Eimer mit Pinsel und Farbe. Daneben ein Messer. Immer wieder geht sie zu den Styroporpuppen, nimmt eine, bemalt sie unterm Sprechen. Sticht mit dem Messer auf sie ein u. steckt sie dann auf die Klingen an der Wand.

Später dann.

Ich war immer noch jung.

U. doch schon so alt.

Wie lange ist es her?

8 Jahre?

Oder 9?

Dann bin ich heute ja schon … Meine Güte.

Es sei kein Alter, heißt es.

Für mich schon.

Ich habe nicht so viel Zeit.

Ich muss mich beeilen.

Musste mich immer beeilen.

Wie hätte ich es sonst schaffen sollen?

Also, es ist, glaub ich, 9 Jahre her.

Meine Güte.

Er hieß Karl.

Oder Egon.

Wer will das wissen?

Wer will denn das so genau wissen?

Wie soll ich denn das wissen?

Karl oder Egon, egal.

Er war jedenfalls da.

SM nimmt eine Puppe. Hält sie sich mit ausgestreckten Armen vor die Brust.

Egon. Bist du das?

Hast du Egon geheißen?

Ich heiße dich jetzt Egon.

Du bist mein Egon.

Nicht wahr.

Egon.

SM bemalt die Puppe.

Weißt du noch?

Weißt du noch, dass du mir nicht mal den Rock auszogst?

Egon.

Du erzähltest mir von deinen Plänen u. Theorien

u. stecktest mir dabei deinen Schwanz ins Loch.

Ich wollte dir zuhören.

Ich habe dir wirklich zuhören wollen.

Aber es fühlte sich da unten trotz allem gut an.

Du sagtest, hör zu.

Du schriest, hör zu.

Du brülltest, hör zu.

Dann warst du fertig da unten u. redetest einfach weiter.

Von deinen Plänen

ließest dabei meinen Rock fallen

von deinen Theorien

machtest dabei deine Hose zu

ich hatte dir zuhören wollen

aber dein Brüllen hatte mich taub gemacht

ich hatte dich fühlen wollen

SM sticht ein Messer in die Puppe

aber dein Stoßen hat mich gefühllos gemacht

da unten

für Wochen

hat es mich gefühllos gemacht

aber

das muss ich sagen

jetzt hatte ich wenigstens gewusst

dass man da was fühlen kann.

Siehst du, Karl

oder Egon

ist mir doch scheißegal

ich habe was gelernt

ich habe tatsächlich was von dir gelernt

nimm das zum Dank

SM steckt die Puppe an die Wand

SM nimmt eine neue Puppe u. geht wieder zum Bühnenrand

Und dann war da Fritz.

Der hatte einen Bauch.

Einen gewaltigen Bauch.

U. ein rotes Gesicht.

U., um ehrlich zu sein,

er roch ein bisschen.

Um wirklich ehrlich zu sein,

er stank.

Ach, der Fritz. Diesen Bauch konnte kein Wind umblasen.

Diesen Bauch konnte kein Mensch aus dem Weg räumen.

Fritz war da

u. ich legte meinen Kopf auf diesen Bauch

u. er legte seine fette Hand auf meinen Kopf

u. dann wurde es ganz ruhig in diesem Kopf

u. ich hörte die Geräusche in seinem Bauch

hörte

wie das Fleisch u. die Pasteten u. die Schokolade u. das Fett u. die Fische u. die Saucen u. Hühnchenschlegel u. die Schweinsbraten u. die Kohlsuppe u. die Mehlspeisen

SM gerät außer Atem. Sie drückt den Bauch der Puppe gegen ihr Gesicht

ach, die Mehlspeisen u. der Käse

u. u. u. u.

was weiß ich noch alles

durch den Magen rutschte

durch den Darm sich quetschte

u. am Morgen wird er wieder auf der Schüssel hocken

u. ich werde ihn furzen hören

u. gewaltig scheißen

u. wissen

er ist immer noch da.

Was für ein Glück.

SM malt Herzchen auf die Puppe.

Was für ein Glück.

War das die Liebe?

Fritz.

War das die Liebe?

Sag.

Haben wir uns geliebt?

Hast du mich geliebt, wie du dein Essen liebtest?

Hättest du mich nicht auch in diesen gewaltigen Bauch mit aufnehmen können?

War ich dir nicht fett genug?

Zu trocken?

Zu zäh?

Sag.

Hättest du mich nicht auch durch diesen Darm pressen können?

Mein ganzer Körper hätte dich gespürt?

Oder war ich dir zu dünn für deinen Darm?

Zu dünn für deinen Dünndarm.

SM lacht.

Hätte ich mich einfetten sollen?

Fritz.

In deinem Darm wäre ich aufgehoben gewesen.

Unter.

Wie man so sagt.

U. dann hättest du mich mit einem gewaltigen Donnerfurz

ausscheißen können.

Fritz.

Hättest du das nicht machen können?

SM sticht auf die Puppe ein.

Sag.

Hättest du das nicht machen können.

Dann hätte ich einen Grund gehabt.

Dann hätte ich endlich einen Grund gewusst,

warum ich auf der Welt bin.

Du hättest mich ja auf die Welt geschissen.

U. ich hätte diese ungeheure Wucht deines Bauches in mir getragen.

Ich wäre dagestanden wie dein unschlagbarer Bauch.

Niemand hätte mich mehr geschlagen.

Fritz.

Niemand hätte nicht mehr seinen Kopf in meinen Schoß legen mögen.

Keiner wäre mehr davon gerannt,

wenn ich versucht hätte, ihm zu sagen,

wer ich bin.

Dass ich ein Dreck bin.

Sie hätten dann ja wissen können,

sie ist in die Welt geschissen worden.

Sie hätten das dann wissen können.

Sie hätten wissen können, es muss so sein.

U. dann hätten sie es einfach akzeptiert.

Nicht wahr, Fritz?

Aber du hast es nicht getan.

Du verschissener, fetter Dreckskerl.

Du verfressene Sau.

Du sollst hängen wie die Ferkel am Spieß.

SM steckt ihn an die Wand.

SM holt eine neue Puppe.

Und dann war da der kleine Johnny.

Der hatte Sommersprossen.

U. jede Sommersprosse stand für eine kluge Idee.

Ich lag bei ihm.

Ich ordnete jeder Sommersprosse eine seiner Ideen zu.

So war sein kleines, hässliches Gesicht voller kluger Ideen.

U. ich konnte mich an dieser Klugheit nicht satt sehen,

wenn mein Kopf auf seiner Brust lag

u. ich ihm ins Gesicht starrte

u. nur mehr die klugen Ideen sah

über u. über übers Gesicht getupft

über die Nase

die Backen

die Stirn

das Kinn

selbst die Ohren

ja, selbst die Ohren

diese hässlichen kleinen Ohren

hingen voller kluger Ideen

vollgehängt in diesen klugen Nächten

wir lagen auf dem Sofa

er saß vielmehr

ich lag

u. starrte in dieses Gesicht

u. wie kleine Rubine kamen die Ideen aus seinem Mund

u. ich heftete sie an die Sommersprossen

u. an die Pickel

was hatte er für Pickel

da heftete ich die großen Ideen dran

SM tupft mit dem Pinsel auf der Puppe herum.

u. die ganz große Idee

seine Weltveränderungsidee

die steckte ich ihm an die Warze am Kinn

an diese fette Warze in diesem hässlichen kleinen Gesicht

diesem Johnnygesicht

über das ich so lachen konnte

wenn ich alle diese klugen Ideen leuchten sah

aus diesem hässlichen kleinen Gesicht feuerrot leuchten sah

diese kleinen intelligenten Rubine

aus reiner Intelligenz angeschossen

aus reiner Weltveränderungsintelligenz

aus wunderbarer Menschenveränderungsintelligenz

wie ich meinte

wenn mein Kopf auf seiner Hühnerbrust lag

u. es darin röchelte

weil die Lunge ganz löchrig war

zerfressen von dieser Intelligenz

dieser Neuewelterschaffungsintelligenz

dieser Liebeverneinungsintelligenz

weil die Liebe nicht wolle

dass sich etwas verändere

nicht wahr, Johnny

das hast du doch gesagt

die Liebe sei dumm

u. es sei dumm, sich anzufassen

diese Idee hing doch an dieser fetten Warze

u. dass Küsse dummes Zeug seien

diese Ideen hingen doch an deinen Sommersprossen

in diesem hässlichen kleinen Gesicht

nicht wahr Johnny

u. dass ich so schrecklich dumm sei

nicht wahr Johnny

diese Ideen hingen doch an deinen Pickeln

deinen Leuchtturmpickeln

voller eitriger Zukunftsfanalintelligenz

dass das jetzt keinen Sinn habe

dass wir uns nicht erinnern dürften

diese Vergessenszwangsintelligenz

nicht wahr Johnny

diese Ideen waren dir übers Gesicht geschrieben

so redetest du die ganze Nacht

wenn ich nicht schlafen konnte

u. du sagtest, ich müsse

schlafen

damit ich ausgeschlafen sei für die neue Welt

diese Worte kamen doch aus deinem hässlichen kleinen Mund

dass ich dir nicht immerzu ins Gesicht starren solle

dass ich meinen dummen blonden Kopf von deiner zerfressenen Brust nehmen solle

nicht wahr Johnny

du kleiner hässlicher ideenzerfressener Johnny

SM sticht mit dem Messer auf ihn ein

ich stecke dir noch mehr intelligente Ideen an

du kleiner hässlicher Ideensprudler voller Kosmoserschütterungsintelligenz

wie hast du mich erschüttert

nicht wahr Johnny

schau, wie erschüttert ich bin

ich bebe

von deiner Sonnenblendungsintelligenz

die dir aus dem Gesicht leuchtet

aber jetzt

aber jetzt

schau

wie sehr ich mich verändert habe

wie sehr ich deine Ideen erfülle

wie sehr ich dich, du pure Idee

an die Wand stecke

da nimm

Johnny

als ein Zeichen meiner Dankbarkeit

dass ich deine kostbare Intelligenz

genießen durfte

deine kostbare Zeit

wie du sagtest

weil es doch geraubte Zeit sei

in der man ja hätte die Welt verändern können

jetzt verändere ich die Welt

du hässlicher kleiner Zwerg

SM steckt ihn an die Wand

SM setzt sich an den Bühnenrand.

Puh

ich hab sie alle vertrieben.

Geblieben ist niemand.

Die Liebe nicht, die ein Schmerz war.

Die Wut, die ein Schweigen war.

Die Kindheit, die ein Dreck war.

Nur die Angst.

Die blieb.

Blieb in mir.

Alte Freundin.

Aber wie Recht hattest du, dass es das noch nicht gewesen sei.

Dass das nicht die Liebe u. die Wut, der Schmerz u. das Schweigen gewesen seien.

Du hattest es prophezeit.

Dass da noch etwas käme.

Dass da noch einer kommen sollte.

U. er kam.

Er kam einfach u. sagte:

sag ja.

Sagte nicht

wie Egon oder Karl oder wie der hieß

wie Fritz, die fette Sau

wie Johnny, diese hässliche Ratte

sagte nicht, sag nein

sagte

sag ja

u. ich sagte ja

wie ich noch nie ja gesagt hatte

sagte,

ja, ich bin ein Dreck

u. er sagte

dann lass uns dreckig sein

denn im Dreck entsteht das Leben

ich sagte ja,

er sagte

lass uns zusammen dreckig sein u. zusammen dreckige Dinge tun

ich sagte

ja

JA

Wie hätte ich wissen können, dass

er zu niemandem nein sagte

dass er zu keiner nein sagte

wie hätte ich das wissen können

dass ich nicht mehr werde aufhören können

ja zu sagen

ja zu ihm zu sagen

selbst dann

wenn er nicht da ist

u. er war dann selten da

immer seltener

ganz weg vom vielen sagen:

sag ja.

Ja Ja.

U. ich hab keine Puppe mehr.

Licht aus


Slasher Maggie - 3. Szene © 2010 Klaus Peter Buchheit ( E-Mail )


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