3. Szene
SM steht am Bühnenrand. Neben ihr ein Eimer mit Pinsel und Farbe. Daneben ein Messer. Immer wieder geht sie zu den Styroporpuppen, nimmt eine, bemalt sie unterm Sprechen. Sticht mit dem Messer auf sie ein u. steckt sie dann auf die Klingen an der Wand.
Später dann.
Ich war immer noch jung.
U. doch schon so alt.
Wie lange ist es her?
8 Jahre?
Oder 9?
Dann bin ich heute ja schon … Meine Güte.
Es sei kein Alter, heißt es.
Für mich schon.
Ich habe nicht so viel Zeit.
Ich muss mich beeilen.
Musste mich immer beeilen.
Wie hätte ich es sonst schaffen sollen?
Also, es ist, glaub ich, 9 Jahre her.
Meine Güte.
Er hieß Karl.
Oder Egon.
Wer will das wissen?
Wer will denn das so genau wissen?
Wie soll ich denn das wissen?
Karl oder Egon, egal.
Er war jedenfalls da.
SM nimmt eine Puppe. Hält sie sich mit ausgestreckten Armen vor die Brust.
Egon. Bist du das?
Hast du Egon geheißen?
Ich heiße dich jetzt Egon.
Du bist mein Egon.
Nicht wahr.
Egon.
SM bemalt die Puppe.
Weißt du noch?
Weißt du noch, dass du mir nicht mal den Rock auszogst?
Egon.
Du erzähltest mir von deinen Plänen u. Theorien
u. stecktest mir dabei deinen Schwanz ins Loch.
Ich wollte dir zuhören.
Ich habe dir wirklich zuhören wollen.
Aber es fühlte sich da unten trotz allem gut an.
Du sagtest, hör zu.
Du schriest, hör zu.
Du brülltest, hör zu.
Dann warst du fertig da unten u. redetest einfach weiter.
Von deinen Plänen
ließest dabei meinen Rock fallen
von deinen Theorien
machtest dabei deine Hose zu
ich hatte dir zuhören wollen
aber dein Brüllen hatte mich taub gemacht
ich hatte dich fühlen wollen
SM sticht ein Messer in die Puppe
aber dein Stoßen hat mich gefühllos gemacht
da unten
für Wochen
hat es mich gefühllos gemacht
aber
das muss ich sagen
jetzt hatte ich wenigstens gewusst
dass man da was fühlen kann.
Siehst du, Karl
oder Egon
ist mir doch scheißegal
ich habe was gelernt
ich habe tatsächlich was von dir gelernt
nimm das zum Dank
SM steckt die Puppe an die Wand
SM nimmt eine neue Puppe u. geht wieder zum Bühnenrand
Und dann war da Fritz.
Der hatte einen Bauch.
Einen gewaltigen Bauch.
U. ein rotes Gesicht.
U., um ehrlich zu sein,
er roch ein bisschen.
Um wirklich ehrlich zu sein,
er stank.
Ach, der Fritz. Diesen Bauch konnte kein Wind umblasen.
Diesen Bauch konnte kein Mensch aus dem Weg räumen.
Fritz war da
u. ich legte meinen Kopf auf diesen Bauch
u. er legte seine fette Hand auf meinen Kopf
u. dann wurde es ganz ruhig in diesem Kopf
u. ich hörte die Geräusche in seinem Bauch
hörte
wie das Fleisch u. die Pasteten u. die Schokolade u. das Fett u. die Fische u. die Saucen u. Hühnchenschlegel u. die Schweinsbraten u. die Kohlsuppe u. die Mehlspeisen
SM gerät außer Atem. Sie drückt den Bauch der Puppe gegen ihr Gesicht
ach, die Mehlspeisen u. der Käse
u. u. u. u.
was weiß ich noch alles
durch den Magen rutschte
durch den Darm sich quetschte
u. am Morgen wird er wieder auf der Schüssel hocken
u. ich werde ihn furzen hören
u. gewaltig scheißen
u. wissen
er ist immer noch da.
Was für ein Glück.
SM malt Herzchen auf die Puppe.
Was für ein Glück.
War das die Liebe?
Fritz.
War das die Liebe?
Sag.
Haben wir uns geliebt?
Hast du mich geliebt, wie du dein Essen liebtest?
Hättest du mich nicht auch in diesen gewaltigen Bauch mit aufnehmen können?
War ich dir nicht fett genug?
Zu trocken?
Zu zäh?
Sag.
Hättest du mich nicht auch durch diesen Darm pressen können?
Mein ganzer Körper hätte dich gespürt?
Oder war ich dir zu dünn für deinen Darm?
Zu dünn für deinen Dünndarm.
SM lacht.
Hätte ich mich einfetten sollen?
Fritz.
In deinem Darm wäre ich aufgehoben gewesen.
Unter.
Wie man so sagt.
U. dann hättest du mich mit einem gewaltigen Donnerfurz
ausscheißen können.
Fritz.
Hättest du das nicht machen können?
SM sticht auf die Puppe ein.
Sag.
Hättest du das nicht machen können.
Dann hätte ich einen Grund gehabt.
Dann hätte ich endlich einen Grund gewusst,
warum ich auf der Welt bin.
Du hättest mich ja auf die Welt geschissen.
U. ich hätte diese ungeheure Wucht deines Bauches in mir getragen.
Ich wäre dagestanden wie dein unschlagbarer Bauch.
Niemand hätte mich mehr geschlagen.
Fritz.
Niemand hätte nicht mehr seinen Kopf in meinen Schoß legen mögen.
Keiner wäre mehr davon gerannt,
wenn ich versucht hätte, ihm zu sagen,
wer ich bin.
Dass ich ein Dreck bin.
Sie hätten dann ja wissen können,
sie ist in die Welt geschissen worden.
Sie hätten das dann wissen können.
Sie hätten wissen können, es muss so sein.
U. dann hätten sie es einfach akzeptiert.
Nicht wahr, Fritz?
Aber du hast es nicht getan.
Du verschissener, fetter Dreckskerl.
Du verfressene Sau.
Du sollst hängen wie die Ferkel am Spieß.
SM steckt ihn an die Wand.
SM holt eine neue Puppe.
Und dann war da der kleine Johnny.
Der hatte Sommersprossen.
U. jede Sommersprosse stand für eine kluge Idee.
Ich lag bei ihm.
Ich ordnete jeder Sommersprosse eine seiner Ideen zu.
So war sein kleines, hässliches Gesicht voller kluger Ideen.
U. ich konnte mich an dieser Klugheit nicht satt sehen,
wenn mein Kopf auf seiner Brust lag
u. ich ihm ins Gesicht starrte
u. nur mehr die klugen Ideen sah
über u. über übers Gesicht getupft
über die Nase
die Backen
die Stirn
das Kinn
selbst die Ohren
ja, selbst die Ohren
diese hässlichen kleinen Ohren
hingen voller kluger Ideen
vollgehängt in diesen klugen Nächten
wir lagen auf dem Sofa
er saß vielmehr
ich lag
u. starrte in dieses Gesicht
u. wie kleine Rubine kamen die Ideen aus seinem Mund
u. ich heftete sie an die Sommersprossen
u. an die Pickel
was hatte er für Pickel
da heftete ich die großen Ideen dran
SM tupft mit dem Pinsel auf der Puppe herum.
u. die ganz große Idee
seine Weltveränderungsidee
die steckte ich ihm an die Warze am Kinn
an diese fette Warze in diesem hässlichen kleinen Gesicht
diesem Johnnygesicht
über das ich so lachen konnte
wenn ich alle diese klugen Ideen leuchten sah
aus diesem hässlichen kleinen Gesicht feuerrot leuchten sah
diese kleinen intelligenten Rubine
aus reiner Intelligenz angeschossen
aus reiner Weltveränderungsintelligenz
aus wunderbarer Menschenveränderungsintelligenz
wie ich meinte
wenn mein Kopf auf seiner Hühnerbrust lag
u. es darin röchelte
weil die Lunge ganz löchrig war
zerfressen von dieser Intelligenz
dieser Neuewelterschaffungsintelligenz
dieser Liebeverneinungsintelligenz
weil die Liebe nicht wolle
dass sich etwas verändere
nicht wahr, Johnny
das hast du doch gesagt
die Liebe sei dumm
u. es sei dumm, sich anzufassen
diese Idee hing doch an dieser fetten Warze
u. dass Küsse dummes Zeug seien
diese Ideen hingen doch an deinen Sommersprossen
in diesem hässlichen kleinen Gesicht
nicht wahr Johnny
u. dass ich so schrecklich dumm sei
nicht wahr Johnny
diese Ideen hingen doch an deinen Pickeln
deinen Leuchtturmpickeln
voller eitriger Zukunftsfanalintelligenz
dass das jetzt keinen Sinn habe
dass wir uns nicht erinnern dürften
diese Vergessenszwangsintelligenz
nicht wahr Johnny
diese Ideen waren dir übers Gesicht geschrieben
so redetest du die ganze Nacht
wenn ich nicht schlafen konnte
u. du sagtest, ich müsse
schlafen
damit ich ausgeschlafen sei für die neue Welt
diese Worte kamen doch aus deinem hässlichen kleinen Mund
dass ich dir nicht immerzu ins Gesicht starren solle
dass ich meinen dummen blonden Kopf von deiner zerfressenen Brust nehmen solle
nicht wahr Johnny
du kleiner hässlicher ideenzerfressener Johnny
SM sticht mit dem Messer auf ihn ein
ich stecke dir noch mehr intelligente Ideen an
du kleiner hässlicher Ideensprudler voller Kosmoserschütterungsintelligenz
wie hast du mich erschüttert
nicht wahr Johnny
schau, wie erschüttert ich bin
ich bebe
von deiner Sonnenblendungsintelligenz
die dir aus dem Gesicht leuchtet
aber jetzt
aber jetzt
schau
wie sehr ich mich verändert habe
wie sehr ich deine Ideen erfülle
wie sehr ich dich, du pure Idee
an die Wand stecke
da nimm
Johnny
als ein Zeichen meiner Dankbarkeit
dass ich deine kostbare Intelligenz
genießen durfte
deine kostbare Zeit
wie du sagtest
weil es doch geraubte Zeit sei
in der man ja hätte die Welt verändern können
jetzt verändere ich die Welt
du hässlicher kleiner Zwerg
SM steckt ihn an die Wand
SM setzt sich an den Bühnenrand.
Puh
ich hab sie alle vertrieben.
Geblieben ist niemand.
Die Liebe nicht, die ein Schmerz war.
Die Wut, die ein Schweigen war.
Die Kindheit, die ein Dreck war.
Nur die Angst.
Die blieb.
Blieb in mir.
Alte Freundin.
Aber wie Recht hattest du, dass es das noch nicht gewesen sei.
Dass das nicht die Liebe u. die Wut, der Schmerz u. das Schweigen gewesen seien.
Du hattest es prophezeit.
Dass da noch etwas käme.
Dass da noch einer kommen sollte.
U. er kam.
Er kam einfach u. sagte:
sag ja.
Sagte nicht
wie Egon oder Karl oder wie der hieß
wie Fritz, die fette Sau
wie Johnny, diese hässliche Ratte
sagte nicht, sag nein
sagte
sag ja
u. ich sagte ja
wie ich noch nie ja gesagt hatte
sagte,
ja, ich bin ein Dreck
u. er sagte
dann lass uns dreckig sein
denn im Dreck entsteht das Leben
ich sagte ja,
er sagte
lass uns zusammen dreckig sein u. zusammen dreckige Dinge tun
ich sagte
ja
JA
Wie hätte ich wissen können, dass
er zu niemandem nein sagte
dass er zu keiner nein sagte
wie hätte ich das wissen können
dass ich nicht mehr werde aufhören können
ja zu sagen
ja zu ihm zu sagen
selbst dann
wenn er nicht da ist
u. er war dann selten da
immer seltener
ganz weg vom vielen sagen:
sag ja.
Ja Ja.
U. ich hab keine Puppe mehr.
Licht aus
Slasher Maggie - 3. Szene © 2010
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