Dienstag, 30. März 2010

Slasher Maggie - 2. Szene

2. Szene

SM läuft umher. Immer dieselben Wege rund um die Pritsche. Einmal im Uhrzeigersinn, dann entgegen des Uhrzeigersinns. Manchmal hektisch u. abgehetzt, manchmal gemächlich schlendernd. Dabei kickt sie nach u. nach die Scherben u. die Bohnen von der Bühne.

Ja,

ich ging aus.

Jede Nacht.

In jede Spelunke der Stadt.

Sie konnte mir nicht dunkel genug sein.

Die Kerle nicht finster genug.

Nur reden mussten sie.

Von einem anderen Leben.

U. mit der Hand auf den Tisch hauen.

Alles müsse sich ändern.

Da hatte ich keine Angst.

Dass sie mir etwas antäten.

Hätten sie es nur getan.

Hätten sie mich nur angefasst.

Sie schlugen mit der Hand auf den Tisch.

Ich zuckte nicht zusammen,

wenn einer plötzlich schrie,

dass das alles anders werden müsse,

wenn alle plötzlich sangen,

es werde eine neue Welt werden.

Wieso sollte ich Angst haben?

Die Angst war in mir.

Die Angst war meine beste Freundin.

Stets war sie bei mir.

Ich brauchte sie nicht zu haben,

wie man ein Ding hat,

oder einen Ehemann.

Allein in meinem Zimmer, nachts,

wenn der Schlaf nicht bei mir war,

da war die Angst in mir

u. wurde zu meiner Freundin.

Sie hieß mich die Türen verriegeln.

Sie zwang mich,

in das Schwarz des Himmels zu starren.

Nur nicht die Fenster sehen,

in denen das Licht brannte u. Menschen umherliefen.

Männer u. Frauen u. Kinder.

Oder um den Tisch saßen.

Ich wusste nicht, dass sie verlogene Gebete sprachen,

dass sie sich unaufhörlich belogen.

Woher hätte ich das wissen können?

He?

Mich hieß die Angst mich auf den Boden legen.

Auf den kalten Steinboden.

Damals holte ich mir die Krankheit.

Das Atmen fiel mir zunehmend schwerer.

Ich verschwieg es.

Es durfte kein Makel an mir sein.

Sagte die Angst.

Wenn du makellos u. nackt da liegst,

flüsterte sie,

dann sehen sie dich nicht,

die da in deinem Zimmer umhergehen,

wenn du einschläfst.

Schlafe nicht,

sagte die Angst.

Liege da u. starre in den Himmel.

Schaue nicht nach links.

Nicht nach rechts.

U. halte die Luft an.

Dein Atmen lärmt zu sehr.

Sie können dich hören.

U. dann sehen sie,

du bist nicht makellos.

SM schweigt u. läuft weiter.

Tagsüber

mit schweren Augen

lief ich aus der Stadt hinaus.

Durch die Felder.
Über die Wiesen.

Ich sah sie nicht.

Ich lief nur.

Immer weiter.

Immerzu.

Ohne Rast.

Keine Pause.

Kein Innehalten, wenn ein Vogel schrie.

Kein Anhalten, wenn ein Schwan im See seinen Hals reckte.

Wäre ich stehen geblieben,

wäre ich bestimmt umgefallen.

Wäre liegen geblieben.

Nie mehr aufgestanden.

Also lief ich weiter.

Vorbei an Höfen.

Vorbei an Zäunen.

Abhänge hinab.

Durch Schluchten u. unter Brücken hindurch.

Manchmal winkte ein Bauer.

Ich winkte nicht zurück.

Sie riefen hee blondes Kind.

Später schnitt ich mir die Haare kurz.

Sie riefen hee schönes Mädchen.

Seh ich heute in einen Spiegel, weiß ich,

sie logen.

Ich lief weiter.

Bis es Zeit war umzukehren.

Bis es Zeit war, sich an den Tisch zu setzen u. Suppe zu essen.

Bis es Zeit war, aufs Zimmer zu gehen.

Bis es Zeit war, die Kleider auszuziehen.

Alle.

U. mich auf den Steinboden zu legen.

Mein kühler Boden.

Er vertrieb mir die Röte aus dem Gesicht.

Blass wollte ich sein wie der Mond am schwarzen Himmel.

SM schweigt u. läuft.

Später dann.

Es gab keine Suppe mehr.

Grüne Suppe.

Ich erbrach sie ins Klo.

Ich blieb nicht mehr auf meinem Zimmer.

Ich ging in die Nacht.

In der Hoffnung, es fasse mich einer an.

In der Hoffnung, einer mache endlich, was er sagte.

In der Hoffnung, alles könne anders werden.

Alles werde anders werden.

Wenn sie mit der Faust auf den Tisch schlugen,

in etwa so

SM schlägt mit der Faust auf die Pritsche

glaubte ich

es sei das das Startzeichen,

der Startschuss,

für das Rennen

das Losrennen

in eine andere Welt.

Ich glaubte, da sei eine Wut, wenn sie auf den Tisch schlugen.

Ich hatte plötzlich eine Wut in mir,

wie andere eine Jugendliebe haben.

So eine Wut hatte ich in mir.

Alle Schläge auf den Tisch waren winzig u. schwach

im Vergleich zu meiner Wut

ich konnte nicht auf den Tisch hauen.

Nein.

Ich hätte den Tisch entzwei geschlagen.

Ich hätte die Tischbeine durch den Boden geschlagen.

Ich hätte die ganze verdammte Spelunke in die Erdmitte hinein geschlagen.

Ich hätte die ganze verdammte Stadt durch den Erdkern hindurch geschlagen,

Ich hätte die ganze verdammte Bevölkerung durch die Erde hindurch geschlagen,

dass sie hätten den Australiern Guten Tag sagen können.

SM schlägt unterm Laufen kraftlos auf die Pritsche.

Damals hatte ich diese Wut

u. musste an mir halten,

saß nur da

u. hörte den Reden zu

den Kerlen zu

schwieg

u. rauchte

u. ging mit, wenn einer sagte, geh mit

SM schweigt

Ich ging mit.

U. hätte bei dem bleiben wollen, der sagte,

geh mit.

Er hatte mit mir gehen wollen.

Ich hatte mit ihm gehen sollen.

Wie hätte ich da nein sagen können?

Wenn er doch mich wollte.

Wenn ich es doch war, die er wollte.

Ich hätte so gern bei dem bleiben wollen, der da gesagt hatte,

geh mit.

Ich hatte es für Liebe gehalten.

Was wusste ich von Liebe?

Wie hatte ich etwas von Liebe wissen können,

wenn ich nur den Schmerz spürte,

wenn er am Morgen sagte

geh.

Wenn vom mit keine Spur mehr war.

Ich kein mit mehr hörte.

Er mir nur die Tür wies

u. lachte

u. sagte,

du musst noch viel lernen.

Den Schmerz hielt ich für Liebe.

U. aus Liebe tut man viel.

Nicht wahr.

Also lernte ich.

Also ging ich in die Bibliothek

u. las alle Bücher, die da standen.

Also ging ich in die Abendkurse,

u. lernte alle Sprachen, von denen ich gehört hatte.

Er sollte zufrieden sein u. endlich wieder sagen

geh mit.

Ich verbot mir zu denken, er könne sagen: bleib.

Geh mit hätte mir schon den Schmerz genommen.

Jede Nacht saß ich am Tisch u. hörte zu,

u. erkannte hier u. da ein Wort wieder, das ich gelesen hatte.

Also sprachen sie Recht.

Also war es wahr, was sie sagten.

Also wird sich die Welt ändern

so ändern

wie sie sagten

forderten

schrieen

u. ich ging mit.

Wenn einer sagte, geh mit.

U. ich ging

wenn er am Morgen sagte

geh

u. ich setzte mich in die Bibliothek

weil sie sagten

du musst noch viel lernen

u. ich setzte mich in die Abendkurse

weil sie sagten

lerne sprechen

weil sie sagten

man habe mir wohl die Sprache gestohlen

u. ich wusch mich viele Male am Tag

weil sie sagten

ich sei schmutzig

ich wollte kein Dreck sein

aber insgeheim wusste ich

ich war ein Dreck

sie sagten ja

geh

u. sie sagten zwar

die Welt werde sich ändern,

aber sie taten nichts,

weil sie sich wohl schämten mit mir,

weil ich so schmutzig war,

weil ich wohl doch ein Dreck bin

ohne Sprache

ohne viel gelernt zu haben.

Darüber habe ich die Nacht aus den Augen verloren.

U. den Mond.

U. meinen kalten Boden.

Nur die Krankheit blieb.

Und die Angst.

U. der Dreck.

Ich hatte den Dreck in der Lunge.

Zum Glück hatte ich den Dreck nun in der Lunge.

Jetzt sah ihn keiner mehr.

Ich kann nicht mehr.

SM bleibt stehen.

Licht aus.


Slasher Maggie - 2. Szene © 2010 Klaus Peter Buchheit ( E-Mail )

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