Dienstag, 30. März 2010

Slasher Maggie - 1. Szene

1. Szene

SM sitzt auf der Pritsche. Neben sich eine Schüssel voller weißer Tassen u. eine Glasschüssel mit Brechbohnen.

Mutter, hast gesagt

ich solle nicht auf jeder Hochzeit tanzen.

Was weißt du, Mutter?

Was weißt du schon von mir, Mutter?

Hochzeiten?

Ja, ich war auf Hochzeiten

auf so vielen Hochzeiten

auf jedem verdammten Fest

u. habe mir sentimentale Reden angehört

das war keine Sprache

das war kein Weinen

das war Verlogenheit.

Ich habe nicht gelogen.

Ich habe nie gelogen.

Zumindest nicht in den Nächten, Mutter

in denen ich nicht auf den Hochzeiten tanzte

wie du meintest

in denen ich nach dir schrie

mir die Seele aus dem Leib schrie

u. du nicht antwortetest.

Hat trotzdem geholfen,

irgendwie.

Sie wollten mich wegen dieses Schreiens auf keiner Hochzeit mehr haben.

Weil ich auf dem Boden lag.

Weil kein Alkohol u. keine Tablette zu stark war, ihre Verlogenheit zu ertragen.

Sie schämten sich für mich.

Für mich.

Als ob ich das nicht alleine könnte.

SM schmeißt 3 Tassen auf den Boden

Du antwortetest nicht, Mutter.

Du saßest an deinem Tisch,

in dich verbohrt.

Stumm.

Aufstöhnend.

Dann sagtest du,

ich solle nicht auf jeder Hochzeit tanzen.

Fragtest,

brauchst du Geld.

Geld hast du mir gegeben.

Ich konnte deiner Meinung nach ja nicht mit Geld umgehen.

Mit nichts umgehen.

Mit meinem Leben nicht umgehen.

Mutter,

du zähltest mir die Scheine vor.

Da nimm, Kind.

Betetest mir deine Maxime vor.

Dann u. wann eine Anekdote.

Von früher.

Was für ein früher?

Was für ein Jetzt?

Von dem sprachst du nie.

Ich war das Jetzt.

Ich bin das Jetzt.

U. du warst nicht das Früher, von dem du erzähltest.

Ich erkannte dich darin nicht wieder.

Ich konnte dich nicht sehen.

Ich sah nur,

du tunktest Brot in Hühnchenfett.

Und schwiegst. Und schautest deinen Mann nicht an.

SM wirft eine Handvoll Bohnen auf den Boden.

Vater.

Vater, du saßest im Keller u. rauchtest.

Hast Ringe in die Luft geblasen.

Wenn du die Worte sprachst,

du seiest ein Dreck.

Vater.

Niemand habe dich gemocht.

Niemals habest du gelebt.

Man habe dir das Leben gestohlen.

Das Leben verwehrt.

Ich habe dich gemocht, Vater.

Hätte ich denn nicht dein Leben sein können?

War ich nicht dein Leben?

Hatte ich denn kein Leben?

Ich habe nicht auf Hochzeiten getanzt.

Ich lag unter der Decke

u. war so unendlich lebendig

habe mein Bein gespürt

u. noch den kleinsten Zeh

u. den linken Arm

u. noch die kleinsten Knöchel im Handgelenk

u. hatte diese Hitze zwischen den Beinen

u. diesen angenehmen Schmerz in den Handgelenken

von endlosen Nächten

ohne Schlaf u. voller Verbotenheit.

U. ich habe die Worte gelesen,

die ich hätte von dir hören wollen.

Die du nie sagtest.

Die ich immerzu las.

Du sagtest nur, du seiest ein Dreck.

SM nimmt ein Handvoll Bohnen, wischt sich damit durchs Gesicht u. lässt sie dann fallen.

Hast du mich nicht murmeln hören?

Vater.

Wie hättest du mich hören sollen?

Mutter schrie.

Ich solle den Arzt rufen,

du seiest wahnsinnig geworden.

Du hattest ihr das Geschirr vor dir Füße geworfen

u. dabei gegrunzt wie ein Schwein.

Vater.

Hättest du dich doch gesuhlt in dem Dreck,

von dem du sagtest,

das seiest du.

SM wirft 3 Tassen an die Wand.

Hast du mich nicht rufen hören?

Ich rief von unter der Decke.

Flüsterte in den Boden,

dass es der Stein in den Keller übertrage.

Kassiber einer Gefangenen.

Vater.

Du hättest die Gefängnistür aufsperren können.

Wärest du doch gekommen.

Aber du saßest in deinem Keller u. rauchtest

u. sagtest immerzu

du seiest ein Dreck.

Hat es denn wenigstens geholfen?

Mir hat es geholfen,

irgendwie.

Aber dir?

Du grubst dich immer tiefer in den Keller

u. starrtest in die Kohleglut.

U. einmal fasstest du in den Kohleberg,

u. wischtest dir den Kohlenstaub durchs Gesicht.

Und Mutter schrie,

sie hatte dich gesucht,

wie so oft,

du seiest ein Schwein. Ein ekelhaftes Schwein.

Vater, hast du mich denn nicht gehört,

ich löste mich von dem Buch,

u. mir wurde ganz warm unter meiner Decke,

u. ich legte die Hand nicht in die Wärme

ich strich mit meiner Hand über den kalten Boden neben dem Bett

u. beugte mich herunter

u. flüsterte dem Boden zu

SM kniet neben der Pritsche u. streicht mit der Hand über den Boden. Beugt sich vor, als wolle sie den Boden küssen u. haucht kindlich

Vater, hörst du mich

ich bin deine Tochter

ich bin der Dreck

ich bin ein Dreck

hörst du mich in deinem Keller?

Hörst du meine Stimme,

wie sie sich aus dem Boden hoch flüstert

in deine Ringe hinein

Vater

ich bin dein Dreck

Vater

ich bin der Dreck

ich bin ein Dreck

streiche mit deiner Kohlenstaubhand durch mein blondes Haar

es soll schwarz sein wie dein Mund

dein rußiger Mund

der nie mich küsste

selbst dann nicht, als Mutter mich geschlagen hatte

wegen einer Nichtigkeit

ich hatte Suppe verschüttet.

Ein paar Tropfen.

Du hattest gesagt, ich solle aufpassen.

Darüber erschrak ich mich.

U. verschüttete diese verdammte Suppe.

Mutter sagte, aus mir würde nie etwas werden.

Mutter sagte, kannst du nicht auf deinen Vater hören

u. schlug mir ins Gesicht.

Du sagtest nichts.

Schautest nur

u. gingst dann in den Keller.

Vater

u. schmiertest dir Asche ins Gesicht

u. schwiegst

Vater

ich höre dich nicht

ich höre nichts mehr

SM erhebt sich u. schüttet die restlichen Tassen auf den Boden. Nimmt die Schüssel mit den Bohnen u. kippt sie sich über den Kopf.

Mutter, warum sagst du mir nicht mehr,

was ich tun soll?

Warum schreist du nicht mehr,

dass ich dich wenigsten hören könnte,

damit ich wenigstens etwas vernähme,

damit ich mir einbilden könnte,

da sei eine Antwort,

wenn ich murmele,

ich bin ein Dreck

Licht aus.


Slasher Maggie - 1. Szene © 2010 Klaus Peter Buchheit ( E-Mail )

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